- Autor:innen
- Moritz Zackariat
- Versionsnummer
- 1.0
- Veröffentlichungsdatum
-
1. Juli 2024
- Zitiervorschlag
- Agorameter Review: Die deutsche Stromerzeugung im 1. Halbjahr 2024
- Projekt
- Diese Publikation wurde erstellt im Rahmen des Projektes Monatsauswertung Strommarkt Deutschland.
Agorameter Review: Die deutsche Stromerzeugung im ersten Halbjahr 2024
Analyse der Entwicklungen und Trends der deutschen Stromerzeugung im ersten Halbjahr 2024. Außerdem: Ein Blick auf die Erneuerbaren-Förderung in Deutschland und die Gründe für die gestiegenen Ausgaben.
Wie entwickelten sich die Emissionen aus der Stromerzeugung im ersten Halbjahr 2024?
Die CO₂-Emissionen der deutschen Stromerzeugung sind im ersten Halbjahr 2024 gegenüber den ersten sechs Monaten des Vorjahres um 20 Prozent auf 75 Millionen Tonnen CO₂ gesunken. Damit lagen sie auf dem niedrigsten Wert in einem ersten Halbjahr seit der unterjährigen Datenerfassung 2012 – niedriger als zu Beginn der Corona-Pandemie 2020.
Gründe hierfür sind vor allem ein neuer Halbjahresrekord von Erneuerbaren Energien, verringerte Strom-Exporte sowie ein leichter Rückgang des Stromverbrauchs: Die Ökostromerzeugung verzeichnete ein sattes Plus um 12 Terawattstunden beziehungsweise 9 Prozent gegenüber dem Vorjahreshalbjahr. Außerdem fiel die Kohlestromerzeugung um 28 Prozent auf 47 Terawattstunden und damit auf den niedrigsten Stand seit der Wiedervereinigung. Dass die Nachfrage nach deutschem Kohlestrom am Strommarkt weiter gesunken ist, lag zum einen an einem inländischen Verbrauchsrückgang von 0,8 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Zum anderen sind die deutschen Exporte im ersten Halbjahr um rund ein Viertel zurückgegangen. Das lag vor allem daran, dass französische Kernkraftwerke nach Sicherheitsproblemen Anfang 2023 im ersten Halbjahr 2024 wieder regulär produziert haben. In der Folge mussten Kohlekraftwerke in Deutschland weniger laufen, um die Auslandsnachfrage zu decken, und die deutsche Stromerzeugung sank trotz des Erzeugungsrekords bei den Erneuerbaren Energien um -5,4 Prozent.
Ausblick: Wie könnten sich die Emissionen in der 2. Jahreshälfte 2024 entwickeln?
Der Emissionsrückgang in der Stromerzeugung war Anfang des Jahres besonders stark und flachte im Verlauf des ersten Halbjahres ab: Während der Rückgang in den ersten vier Monaten bei durchschnittlich 4 Millionen Tonnen CO₂ lag, betrug er im Mai und Juni gegenüber den Vorjahresmonaten nur noch durchschnittlich 1,2 Millionen Tonnen CO₂. Diese Entwicklung spiegelt die Stromerzeugung aus Braunkohlekraftwerken wider: Nach sehr starken Rückgängen im Jahr 2023 um durchschnittlich 2,2 Terawattstunden lag der Rückgang im Mai und Juni nur noch bei 0,4 Terawattstunden. Damit scheint die Braunkohleverstromung eine vorläufige Talsohle erreicht zu haben. Dafür gibt es zweierlei Gründe: Im Juni haben der weiterhin eher moderate CO₂-Preis von 69 Euro die Tonne CO₂ in Kombination mit einem Anstieg des Gaspreises auf 34 Euro pro Megawattstunde dazu geführt, dass die Braunkohleverstromung wieder günstiger geworden ist als die Gasverstromung.
Zudem zeichnet sich auch bei der energieintensiven Industrieproduktion langsam eine Erholung ab. Insbesondere die Stromnachfrage für die Eisen- und Stahlerzeugung (+2,4 Prozent beziehungsweise +3,7 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum) und aus der chemischen Industrie (+3 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum) zieht wieder an und damit auch die Stromerzeugung der Braunkohlekraftwerke.
Diese Entwicklung zeigt, dass sich der Emissionsrückgang im Stromsektor nur dann verstetigen kann, wenn der Ausbau der Erneuerbaren Energien konsequent fortgesetzt wird und gleichzeitig Kohlekraftwerke aus dem Markt ausscheiden. Wichtige Voraussetzungen hierfür sind ein verlässlicher Investitionsrahmen für Windkraft und Solarenergie sowie eine Kraftwerksstrategie für regelbare, wasserstofffähige Gaskraftwerke, die den Kohleausstieg flankieren. Emissionsrückgänge durch geringe Stromnachfrage, unausgeglichene Stromhandelsbilanzen und mehr Stromerzeugung aus Gas statt Kohle sind dagegen unter Umständen nur vorübergehender Natur und kein verlässlicher Minderungspfad.
Wie setzte sich der deutsche Strommix im 1. Halbjahr 2024 zusammen?
Mit einem Anteil von 57 Prozent an der Nettostromerzeugung haben Erneuerbare Energien im ersten Halbjahr 2024 einen neuen Halbjahresrekord aufgestellt.
Windkraft- und Solaranlagen erzeugten mit einem Anteil von 44 Prozent mehr Strom als alle konventionellen Erzeugungsanlagen zusammen (43 Prozent). Allein Windkraftanlagen lieferten mit 71 Terawattstunden mehr Strom als deutsche Kohlekraftwerke (47 Terawattstunden).
Wie hat sich die Stromerzeugung im 1. Halbjahr 2024 gegenüber dem 1. Halbjahr 2023 verändert?
Bei der Solarenergie hat sich der massive Zubau der letzten zwölf Monate mit einem satten Plus in der Erzeugung von 4 Terawattstunden beziehungsweise +13 Prozent gegenüber dem Vorjahreshalbjahr bemerkbar gemacht. Die Photovoltaik erreichte das EEG-Jahresziel für 2024 von 88 Gigawatt installierter Leistung bereits im Mai.
Ein windreicher Jahresanfang ließ die Winderzeugung zudem um insgesamt 5,5 Terawattstunden ansteigen. Der Zubau von 0,8 Gigawatt Wind an Land und 0,2 Gigawatt Wind auf See liegt allerdings deutlich unter dem nötigen Ausbautempo, um die im Erneuerbaren Energien Gesetz (EEG) hinterlegten Ziele zu erreichen.
Trotz der Ausbauflaute produzierten Windkraftanlagen fast drei von zehn Kilowattstunden Strom in Deutschland und waren damit die wichtigste Erzeugungsoption im deutschen Stromsystem. Da Wind- und Solarstromerzeugung sich in ihrer saisonalen Erzeugungsstruktur ergänzen, muss auch der Windkraftausbau mehr Fahrt aufnehmen (Themenschwerpunkt Februar: Wie verhalten sich Wind- und Solarstromerzeugung zueinander?). Das senkt teuren saisonalen Speicherbedarf und damit die Systemkosten insgesamt.
Der Anstieg der erneuerbaren Erzeugung von insgesamt 12 Terawattstunden drängte in Kombination mit einer guten Kraftwerksverfügbarkeit in Europa die deutsche Kohleverstromung deutlich zurück.
Themenfokus: Förderung für Erneuerbare Energien – was hinter den Mehrausgaben steckt
Der Zuschussbedarf aus dem Bundeshaushalt für die Ökostrom-Förderung ist 2024 im Vergleich zum Vorjahr stark angestiegen und lag Ende Mai bei 8,6 Milliarden Euro. Wegen der außergewöhnlich hohen Strompreise 2023 waren im vergangenen Jahr keine Haushaltszuschüsse auf das EEG-Konto zur Förderung von Ökostromanlagen nötig. Nach Abschätzung von Agora Energiewende wird der Zuschussbedarf sich in diesem Jahr insgesamt auf etwa 23 Milliarden Euro belaufen und fällt damit deutlich höher aus als die auf Basis der Mittelfristprognose der Übertragungsnetzbetreiber im Haushalt eingeplanten 10,6 Milliarden Euro. Der erwartete Zuschussbedarf für 2024 und die folgenden Jahre liegt jedoch zum größten Teil deutlich unter den inflationsbereinigten Werten der Jahre 2014 bis 2021 von bis zu 31 Milliarden Euro – und dies bei deutlich gestiegenen Wind- und Solarstrommengen. Der Zuschussbedarf pro Megawattstunde ist damit erheblich geringer.
Dennoch werden Zuschusszahlungen auch in den kommenden Jahren erforderlich sein. Das liegt vor allem an der mangelnden Flexibilität des Stromsystems, die zu sinkenden Markterlösen von PV-Anlagen führt. 2012 lagen die Erlöse einer Freiflächen-PV-Anlage bei 238 Euro je Megawattstunde. Bis 2028 werden diese schätzungsweise um fast 75 Prozent auf 62 Euro je Megawattstunde sinken. Wäre der Marktwert von Solarstrom gleichgeblieben, wären die Anlagen inzwischen komplett wettbewerbsfähig. Allerdings verhindern Fehlanreize, dass durchaus vorhandene Flexibilitäten zum Einsatz kommen. Etwa durch die flexible Nachfrage von Verbrauchsanwendungen, die ihre Stromnachfrage am Erneuerbaren Angebot ausrichten können – wie zum Beispiel Industrieanwendungen, E-Autos, Heimspeicher oder Wärmepumpen. Wenn es sich endlich lohnt, solche Anwendungen systemdienlich zu nutzen, steigt auch der Marktwert von Solarstrom (und auch Windstrom) und der Förderbedarf sinkt. Gleiches gilt für die Ergänzung von Solaranlagen durch Speichersysteme sowie einen reduzierten Einsatz von steuerbaren Biomasse- und fossilen Kraftwerken, die teilweise aufgrund von falsch kalibrierten Fördermechanismen trotz sehr niedriger oder gar negativer Preise Strom produzieren (Themenschwerpunkt Mai: Must-Run-Kapazitäten in Deutschland).
Bibliographische Daten
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Moritz Zackariat
Projektreferent Strom