Nach dem Karlsruher Urteil: Wie die Bundesregierung jetzt das Klimaschutzgesetz anpassen muss
Agora Energiewende legt sechs Eckpunkte für eine zügige Reform des Klimaschutzgesetzes vor. Dazu gehören neben einem früheren Klimaneutralitätsziel in 2045 auch höhere Klimaziele für 2030, 2035 und 2040, klare Vorgaben für die Sektoren sowie schärfere Regelungen zur Nachsteuerung, wenn Ziele verfehlt werden.
Berlin, 3. Mai 2021. Mit einer Reform des Klimaschutzgesetzes in sechs zentralen Bereichen kann die Bundesregierung sowohl den Maßgaben des Bundesverfassungsgerichts Rechnung tragen als auch die Vorgaben aus dem EU-Klimaschutzgesetz umsetzen. Einen entsprechenden Reformvorschlag zum Gesetz hat Agora Energiewende heute in einem Eckpunktepapier vorgelegt. Darin wird neben einem höheren 2030-Klimaziel von 65 Prozent Treibhausgasemissionsminderungen gegenüber 1990 auch die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Einführung neuer Klimaschutzziele für 2035 und 2040 umgesetzt. Agora schlägt außerdem die Nachsteuerung durch die Einführung eines CO2-Preis-Automatismus vor, sollten Sektoren ihre Emissionsminderungsziele nicht einhalten. Auch der unabhängige Expertenrat für Klimafragen soll gestärkt werden. „Die Signale aus Brüssel und Karlsruhe sind unmissverständlich: Die Klimapolitik in Deutschland ist derzeit weder kompatibel mit dem Grundgesetz noch mit dem Europäischen Green Deal“, sagt Dr. Patrick Graichen, Direktor von Agora Energiewende, der eine Reform des Klimaschutzgesetzes noch in diesem Sommer fordert. „Nur aktive Klimapolitik im Hier und Jetzt kann die vom Verfassungsgericht geforderte Entlastung künftiger Generationen garantieren. Unsere Vorschläge ermöglichen eine verfassungskonforme Änderung des Gesetzes, die Deutschland klar auf den Pfad der Klimaneutralität führt.“
Das Bundesverfassungsgericht hatte am vergangenen Donnerstag in einer wegweisenden Entscheidung das Klimaschutzgesetz in seiner jetzigen Form für in Teilen verfassungswidrig erklärt und den Gesetzgeber zu einer Neufassung verpflichtet. Dabei wurde insbesondere aus den Freiheitsrechten künftiger Generationen abgeleitet, dass Deutschland beim Klimaschutz schneller, ehrgeiziger und langfristig verlässlicher werden muss.
Die Vorschläge von Agora Energiewende zu einer verfassungskonformen Ausgestaltung des Klimaschutzgesetzes sehen folgende sechs zentrale Punkte vor:
- Aufnahme des Ziels der Klimaneutralität 2045 und der Netto-Negativen Emissionen danach: Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts gibt vor, dass Deutschland als Beitrag zur Verhinderung einer ungebremsten globalen Erderhitzung klimaneutral werden muss. Aufgrund des sehr knappen verbleibenden CO2-Budgets, um die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad einzudämmen, ist zudem ein schnellerer Pfad in Richtung Klimaneutralität bis 2045 statt 2050 nötig. Das Ziel des Netto-Abbaus von Treibhausgasen ergibt sich aus dem neuen EU-Klimaschutzgesetz.
- Erhöhung des 2030-Klimaschutzziels auf -65 Prozent und Einführung neuer Klimaschutzziele für 2035 (-77 Prozent) und 2040 (-90 Prozent): Durch die vom Bundesverfassungsgericht formulierte ‚intertemporale Freiheitssicherung‘ müssen die Emissionsminderungsbeiträge zwischen den Generationen ähnliche Lasten verursachen. Zudem muss das Treibhausgasbudget insgesamt deutlich verringert werden. Der von Agora vorgeschlagene Pfad reduziert das deutsche Budget bis 2050 um knapp ein Drittel von 12,8 auf 8,8 Gigatonnen CO2-Äq und verteilt die Emissionsminderungen gerecht über die kommenden 25 Jahre.
- Indikative Sektorziele bis 2045: Das Bundesverfassungsgericht verlangt in seinem Urteil, dass jeder Sektor auch über 2030 hinaus eine Orientierung für die weitere CO2-Entwicklung seines Sektors bekommt. Daher müssen zum einen die Sektorziele für die Energiewirtschaft, die Industrie, Gebäude, Verkehr, die Landwirtschaft sowie die Abfallwirtschaft bis 2030 angepasst werden. Zum anderen schlägt Agora vor, für mehr Planungssicherheit indikative Sektorziele für die Zeit danach festzulegen. Die konkreten Jahresemissionsgrenzen sollen dann aber auf Vorschlag des Expertenrats für Klimafragen vom Bundestag beschlossen werden.
- Nachsteuerung und Sofortprogramm durch CO2-Preis-Automatismus: Das Klimaschutzgesetz erlaubt es, die Verfehlung einer Jahresemissionsmenge in einem Sektor auf die Folgejahre des Jahrzehnts anzurechnen. Dies ist de facto eine Verschiebung der Klimaschutzanstrengungen auf spätere Generationen. Eine automatische CO2-Preis-Erhöhung bei Zielverfehlung ermöglicht die umgehende Nachsteuerung. Bundesregierung und Bundestag können diese Erhöhung abwenden, wenn sie vergleichbar effektive Maßnahmen beschließen.
- Stärkung der Rolle des unabhängigen Expertenrats: Die Kompetenzen des deutschen Expertenrats müssen deutlich ausgeweitet werden – gerade, weil das Bundesverfassungsgericht auf die stets vorhandenen wissenschaftlichen Unsicherheiten hingewiesen hat. So sollte der Rat künftig nicht nur die Plausibilität von Daten, Erhebungsmethodik und Annahmen bewerten, sondern auch inhaltliche Stellungnahme abgeben, Trends abschätzen und Maßnahmen vorschlagen.
- Einführung eines CO₂-Schattenpreises: Das EU-Klimagesetz schreibt vor, dass die EU-Kommission künftig ihre Folgeabschätzungen für Regulierungen dahingehend ergänzen muss, ob sie mit dem Klimaneutralitätsziel und den Klimaschutzzielen für 2030 und 2040 vereinbar sind. Eine entsprechende Regelung für Deutschland ist ebenso sinnvoll. Für ökonomische Analysen und Berechnungen ist es dabei sinnvoll, einen Schaden in Höhe von 195 Euro je Tonne CO2 einzupreisen.
Zusätzlich zu der Reform des Klimaschutzgesetzes fordert Agora Energiewende ein Klimaschutz-Sofortprogramm mit weitergehenden Maßnahmen. „Es gilt, den Ausbau der Erneuerbaren Energien zu entfesseln, die E-Mobilität ebenso wie CO₂-freies Heizen voranzubringen. Die Regierungsverantwortlichen müssen außerdem eine grüne Wasserstoffwirtschaft in der Industrie etablieren und die Landwirtschaft auf einen klimaverträglichen Weg bringen“, fasst Patrick Graichen die Regierungsaufgaben zusammen.
Das 20-seitige Papier „Sechs Eckpunkte für eine Reform des Klimaschutzgesetzes“ steht unten zum kostenfreien Download zur Verfügung.
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Jahel Mielke
Direktorin Kommunikation