Zum Hauptinhalt gehen
Format
Kommentar
Date
12. April 2024

Von der Klimaschutzlücke zur Zielerreichung?

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) verkündete Mitte März die überraschende Nachricht: Deutschland ist auf Klimakurs. Dabei klaffte im vergangenen Jahr noch eine Klimalücke von über 330 Millionen Tonnen CO₂-Äq. Woher kommt der Unterschied? Und was braucht es jetzt, um die Klimaziele zu erreichen?

Am 15. März verkündete das BMWK, dass Deutschland auf Kurs ist, die laut Klimaschutzgesetz (KSG) zulässige Gesamtemissionsmenge bis 2030 einzuhalten. Die Mitteilung basierte auf den zeitgleich veröffentlichten Projektionsdaten zur Treibhausgasentwicklung vom Umweltbundesamt (UBA). Dabei hatte der Vorjahresbericht vom UBA noch eine Lücke von rund 330 Millionen Tonnen CO₂-Äq zur Zielerreichung ausgewiesen. Unsere Analyse ergab: Dass diese Lücke in den Projektionsdaten nun geschlossen wird, geht nur zu einem kleinen Teil auf zusätzlichen Klimaschutz zurück.

Politisch relevant ist die Meldung besonders deswegen, weil den Projektionsdaten nach der geplanten Reform des KSG eine zentrale Bedeutung zukommt. War für die Nachsteuerungspflicht bisher eine ausgewiesene Zielverfehlung im zurückliegenden Jahr ausschlaggebend, soll künftig der Blick nach vorn entscheidend sein: Zeigen die Projektionsdaten, dass Deutschland das Gesamtbudget von CO₂-Emissionen bis 2030 einhält, muss die Regierung keine weiteren Maßnahmen in die Wege leiten. Sie müsste erst nachsteuern, wenn der Projektionsbericht zwei Jahre in Folge eine Zielverfehlung ausweist.

Wie kommen die Projektionsdaten von der Klimalücke zur Zielerfüllung?

Durch den europäischen Green Deal und nationale Klimapolitik ist es grundsätzlich möglich geworden, die gesetzlich zulässigen Gesamtemissionen bis 2030 einzuhalten. Zwischen der Veröffentlichung der Projektionsberichte 2021 und 2023 sank die Klimaschutzlücke um über 700 Millionen Tonnen CO₂-Äq. Klimaschutzmaßnahmen, wie die Reform des Europäischen Emissionshandels oder Maßnahmen zum schnelleren Erneuerbaren-Ausbau, zeigen Wirkung.

Die in den Projektionsdaten neu aufgenommenen Klimaschutzmaßnahmen (im Wesentlichen die Reform des Gebäudeenergiegesetzes und die Einführung der CO₂-Komponente bei der Lkw-Maut) können jedoch die zusätzlichen Einsparungen in Höhe von 378 Millionen Tonnen CO₂-Äq bis 2030 im Vergleich zum Vorjahresbericht nur zu einem kleinen Teil erklären: Etwa ein Fünftel der in den Projektionsdaten ausgewiesenen Minderungen geht laut unserer Analyse auf zusätzliche Klimapolitik zurück. Die weiteren Gründe sind:

  • Ein Drittel des Rückgangs ergibt sich, weil die Emissionen 2023 tatsächlich geringer ausfielen als vor einem Jahr angenommen. Dies lag im Wesentlichen an einem niedrigeren Kohleverbrauch und Konjunktureffekten.
  • Etwa 10 Prozent stammen aus Methodikänderungen. So wurde beispielsweise bei der Berechnung der Emissionen aus der Energiewirtschaft eine Neuerung aufgenommen, die Minderemissionen aus dem Coronajahr 2021 erstmals im Gesamtbudget gutschreibt, was die Emissionsbilanz um 23 Millionen Tonnen CO₂-Äq verringert.
  • Ursächlich für die übrigen knapp 40 Prozent sind weitere für den Zeitraum 2024 bis 2030 angenommene Effekte, insbesondere konjunkturbedingte Produktionsrückgänge und geringerer Stromverbrauch – also kein struktureller Klimaschutz.

Wie sicher hält Deutschland die gesetzlich zulässige Gesamtemissionsmenge bis 2030 ein?

Die Zieleinhaltung ist möglich, aber weiterhin unsicher. Dies liegt mit Blick auf die UBA-Projektionsdaten vor allem an drei Gründen:

  • Erstens werden eine Reihe von Rahmendaten für eine Zielerreichung vorausgesetzt. So baut das Szenario auf eine anhaltend schwache Konjunktur Mitte der 2020er-Jahre (BIP-Wachstum von 0,6 - 0,7 Prozent zwischen 2026 und 2030) und die damit einhergehende geringere Produktion von energieintensiven Gütern. Aufgrund der Annahme von sehr warmen Wintern und damit weniger Heizbedarf sinken die Emissionen im Gebäudebereich – eine Entwicklung, die mit Unsicherheiten behaftet ist.  
  • Zweitens geht das Szenario von einer sehr hohen Wirksamkeit bestehender Maßnahmen bei der Energie- und Wärmewende aus: Zum Beispiel müsste der Windausbau auf See ohne weitere Maßnahmen im Jahr 2030 9,5 Gigawatt betragen – was allein aus Sicht der Netzanbindung kaum zu schaffen sein dürfte.
  • Drittens vernachlässigt das Szenario die knappe Haushaltslage nach dem Karlsruher Haushaltsurteil: Teilweise enthält die Modellierung Maßnahmen, die in der Folge gestrichen (etwa Kaufprämien für E-Lkw und E-Pkw) oder gekürzt wurden (etwa die Bundesförderung für effiziente Gebäude). Darüber hinaus wird die unklare mittelfristige Finanzierungsperspektive vernachlässigt.

Selbst wenn die oben genannten Annahmen eintreten sollten, bleiben zwei wesentliche Probleme:
Zum einen übersteigen Deutschlands Emissionen auf dem projizierten Pfad die Vorgaben aus der europäischen Klimaschutzverordnung (Effort-Sharing-Regulation). Damit riskiert die Bundesregierung teuren Zukauf von Emissionsberechtigungen aus anderen EU-Mitgliedsstaaten beziehungsweise Strafzahlungen an die EU, falls dies nicht möglich ist. Dies liegt vor allem an einer verschleppten Verkehrs- und Wärmewende.
Zum anderen gefährdet Deutschland damit auch sein Klimaneutralitätsziel 2045. Denn den Rückstand können nach 2030 auch Einsparungen in anderen Sektoren nicht mehr ausgleichen, weil ohne den rechtzeitigen Hochlauf von E-Autos oder den Ausbau von Fernwärmenetzen und ÖPNV zu viele Emissionen verbleiben.

Um das Erreichen der Klimaziele – auch nach 2030 – abzusichern, sind jetzt drei Dinge zentral: Erstens greift eine Nachsteuerungspflicht im Klimaschutzgesetz, die nur von der Einhaltung der Gesamtemissionen bis 2030 abhängen soll, zu kurz. Sie sollte beispielsweise auch gelten, wenn Deutschland seine europarechtlich verbindlichen Klimaziele für Gebäude und Verkehr absehbar verfehlt. Zweitens müssen bestehende und zusätzlich erforderliche Maßnahmen konsequent umgesetzt werden. Gerade im Gebäude- und Verkehrsbereich besteht weiterhin politischer Handlungsbedarf, um das Klimaneutralitätsziel 2045 einhalten zu können. Und drittens braucht es eine sichere Finanzierung von Klimaschutzmaßnahmen. Staatliche Investitionen insbesondere in klimaneutrale Infrastruktur und die Finanzierung von sozialen Ausgleichsmaßnahmen sind eine Grundvoraussetzung für das Gelingen der Transformation. Auch in einer angespannten Haushaltslage dürfen diese nicht vernachlässigt werden.

Bleiben Sie auf dem Laufenden

Neuigkeiten auf der Website? Erhalten Sie regelmäßige Informationen über unseren Newsletter.

Jetzt abonnieren

Downloads

Autor:innen