Entgeltsystem für Stromnetze reformieren
Mehr als 17 Milliarden Euro werden jährlich für Netzentgelte ausgegeben / Bisherige Netzentgelt-Systematik passt nicht zur Energiewende / Studie von Agora Energiewende empfiehlt bessere und gerechtere Verteilung der Netzentgelte
Berlin, 8. Dezember 2014. Die Finanzierung der Stromnetze droht in eine Schieflage zu geraten: Während in ländlichen Regionen durch den Zubau an Erneuerbare-Energien-Anlagen die Netzentgelte steigen und die dortigen Verbraucher belasten, stagnieren die Entgelte in städtischen Regionen. Das ist ein Ergebnis einer neuen Studie im Auftrag von Agora Energiewende. Während in Berlin eine Familie mit einem Stromverbrauch von 3.500 Kilowattstunden im kommenden Jahr 236 Euro für die Stromnetze zahlt, werden es in Teilen Mecklenburg-Vorpommerns 411 Euro sein. Das geht aus den jüngsten Mitteilungen der Netzbetreiber hervor.
„Schon heute belaufen sich die Netzentgelte bundesweit auf mehr als 17 Milliarden Euro, das ist fast so viel wie die Ökostrom-Förderung“, sagt Dr. Patrick Graichen, Direktor von Agora Energiewende. „Durch den Zubau von Erneuerbaren Energien wird es erhebliche zusätzliche Investitionen in Netze geben. Das Ungleichgewicht droht damit größer zu werden.“ Als Gegenmaßnahme empfiehlt die Studie „Netzentgelte in Deutschland“, die Kosten für die Stromnetze deutschlandweit zu vereinheitlichen.
Ebenso diskutiert die Studie die Frage, wie die Netzentgelte den Erfordernissen der Energiewende angepasst werden können. So stellen sich aktuell vor allem zwei Herausforderungen.
- Zum einen wird es im Zuge der Energiewende immer mehr dezentrale Eigenerzeugung geben, bei der Strom am gleichen Ort produziert wie verbraucht wird. Dies hat im derzeitigen Netzentgelt-System zur Folge, dass Eigenerzeuger auch weniger für das Stromnetz zahlen – obwohl sie zur Absicherung der Versorgungssicherheit immer noch auf das Netz angewiesen sind. Viele Netzbetreiber reagieren darauf, in dem sie zum 1. Januar 2015 die Grundgebühren für die Netznutzung deutlich erhöhen. So bezahlen sparsame Haushalte mit einem Verbrauch von 1.500 Kilowattstunden in Teilen Schleswig-Holsteins dann 23,4 Prozent mehr für die Netznutzung als noch 2014, während Haushalte mit einem Stromverbrauch von 5.000 Kilowattstunden nur 17,9 Prozent mehr zahlen müssen. Sinnvoller wäre es stattdessen, einen speziellen Eigenerzeuger-Netztarif einzuführen, da sonst die Haushalte mit dem geringsten Verbrauch die größten Zusatzkosten tragen würden, so die Studie.
- Zum anderen zahlen Industriebetriebe derzeit Netznutzungsentgelte pauschal entsprechend ihres maximalen Strombedarfs. Dies ist in Zeiten der Energiewende kontraproduktiv, denn es ist durchaus gewünscht, dass Unternehmen ihren Stromverbrauch stark variieren – je nachdem, ob gerade viel Wind- und Solarstrom oder wenig zur Verfügung steht. Die Studie empfiehlt daher, das System der Netzentgelte so zu reformieren, dass zu Zeiten von Stromknappheit höhere und in Zeiten von hohem Stromangebot geringere Entgelte erhoben werden.
„Die Energiewende ist mehr als nur der Ausbau der Erneuerbaren Energien. Wir müssen auch viele andere Teile der Stromversorgung zukunftsfest machen. Gerade das System der Netzentgelte, das bisher kaum diskutiert wurde, gehört jetzt mit auf den Prüfstand“, sagt Dr. Patrick Graichen. „Mit unserer Studie wollen wir dazu eine Debatte anstoßen.“
Die Studie wurde von Strommarktexperten des Regulatory Assistance Projects im Auftrag von Agora Energiewende verfasst. Die Publikation steht unten zum kostenfreien Download zur Verfügung.
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Für weitere Informationen
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Christoph Podewils
Leiter Kommunikation (bis März 2021)